12 Blick in den Nahen Osten – Hintergrund Mittwoch, 21. Mai – Dienstag, 27. Mai 2025 «Wir träumen von einer Welt ohne Hass und Rache» von @ Jon Mundus (mundus@gipfel-zeitung.ch) Anisa Fanaian, eine Bahá`í- Frau aus Semnan, wurde von einem Revolutionsgericht in Iran zu einer siebenjähri- gen Haftstrafe verurteilt. Sie verbüsst diese seit dem 27. Februar 2025 wegen angeb- licher Gefährdung nationa- ler Sicherheit. Offensichtlich wurde ihr Einsatz für afg- hanische Flüchtlingskinder als Werbung für den Baha’i Glauben ausgelegt. Ihr Fall, der auf willkürlichen Anklagen wie «Beteiligung an Erziehungsaktivitäten gegen heilige islamische Prinzipien», «Bildung einer Gruppe zur Störung nationaler Sicherheit» und «Propaganda gegen das Regime» beruht, verdeutlicht die anhaltende Kriminalisie- rung von humanitären Diens- ten und dem Bahá`í-Glauben im Allgemeinen. In einem Brief an ihre Kinder bietet sie Einblicke in das Gewissen einer Frau, die dem Unrecht mit Liebe, Widerstandskraft und moralischer Klarheit be- gegnet. Meine lieben Setareh und Schakib, ich bin so stolz, Eure Mutter zu sein, und habe jeden Moment mit Euch genossen. Jetzt, wo ich kurz davor bin, aus Eurer Mitte gerissen zu werden, um ins Gefängnis zu gehen, möchte ich jeden gemeinsamen Moment aus- kosten. In diesen Tagen reden wir, lachen und teilen so viel miteinander. Ich muss mich an diese Erinnerungen klam- mern, Euch in meinen Gedan- ken und in meinem Herzen behalten, wenn ich alleine im Gefängnis sitze. Sieben Jah- re sind eine sehr lange Zeit. Sieben Jahre ohne Euch in meinem Leben und ohne mich in Eurem. Wenn ich endlich frei sein werde, werdet ihr erwachsen sein. Schakib, du wirst zweiundzwanzig sein! Setareh, du wirst sechsund- zwanzig sein! Bald werde ich nicht mehr in der Lage sein, Menschen gleich geschaffen hat, unabhängig von Eth- nie, Geschlecht oder Herkunft. Aus diesem Grund will uns das Regime in Iran unser Exis- tenzrecht verweigern. «Wie es zu meiner Verhaftung kam» Anisa Fanaian, Mutter von Setareh und Schakib, muss eine 7-jährige Gefängnisstrafe absitzen, fadenschei- nig begründet. auf dieselbe Weise eure Mutter zu sein. Es wird schwer sein, aber das Leben ist schwer. Ich glaube, dies wird eine weitere wichtige Gelegenheit für Euch sein, um zu wachsen, stark zu sein und zu lernen. Denkt daran, freundlich zu sein und anderen zu helfen. Ungerech- tigkeit mag uns umgeben, aber wir träumen von einer Welt ohne Hass und ohne Rache. Ihr habt bereits schwierige Zeiten durchgemacht. Sowohl euer Vater (Siamak, mein lieber Mann) als auch ich waren im Gefängnis, als ihr noch klein wart. Schakib, du warst drei und sehr, sehr süss. Setareh, du warst sieben und sprachst wie eine kleine Dame. Eure Grossmutter, Sahba, war erst sechs Monate zuvor aus dem Gefängnis entlassen worden. Es war eine stürmische Zeit, aber trotz unserer Schmerzen hatten wir alle noch Freude in unseren Herzen. Ihr fragt Euch vielleicht, warum wir - und so viele andere - so bestraft werden. Weil wir Baha`is sind und glauben, dass Gott alle Ich möchte Euch erzählen, wie es zu meiner Verhaftung kam. Mehrere Monate lang besuchten ein Bekannter und ich afghanische Flüchtlings- kinder in einem Dorf nicht weit von unserem Haus ent- fernt. Sie leben und arbeiten dort unter sehr schlechten Bedingungen, fast wie moder- ne Sklaverei. Sie müssen in diese sehr, sehr heissen, teil- weise unterirdischen Gebäude gehen, um Ziegel herzustel- len. Es ist eine ungesunde und unsichere Situation. Die meisten haben nicht genug zu essen, Kleidung oder Schuhe. Es kann für ein Kind gefährlich sein, den langen Weg durch die Wüste zu machen, also holten mein Bekannter und ich sie mit unserem Auto von zu Hause ab und brachten sie zur Schule. Wir brachten ihnen auch Bücher und halfen ihnen beim Lernen. Nach einer Zeit kamen plötzlich Agenten des staatlichen Geheimdienstes zu uns nach Hause und verhaf- teten meinen Bekannten und mich. Weil ich mich um diese bedürftigen Kinder kümmer- te und weil ich eine Baha`i bin, wurde ich vom Revoluti- onsgericht in Semnan wegen «Bildung von Gruppen, die gegen die nationale Sicherheit vorgehen», «erzieherischen Aktivitäten und Propaganda gegen das islamische Gesetz» und «Propaganda gegen das Regime» angeklagt. Als wir verhaftet wurden, sagten die Agenten: «Ihr seid nicht dort- hin gegangen, um den Kin- dern zu helfen, sondern um sie und ihre Familien zum Baha`i-Glauben zu bekehren.» Aber wir haben nie über Reli- gion gesprochen. Sie wissen nicht einmal, dass wir Baha`i sind! Die Verhörbeamten frag- ten auch: «Warum haben Sie muslimische Freunde? Warum kommen sie zu Ihnen nach Hause? Warum geht ihr zu ihnen?» Ich antwortete: «Ich lebe in einem muslimischen Land, also habe ich muslimi- sche Freunde. Was ist daran falsch?» Einer meiner musli- mischen Freunde sagte ihnen: «Ich glaube an Mohammed, ich glaube an den Islam, und ich kenne gute Menschen, die Baha`is sind. Warum vertraust du meinem Glauben nicht? Warum seid ihr besorgt?» Die Richter denken, dass das Gefängnis mich dazu bringen wird, meinen Glauben zu än- dern. Nein, natürlich nicht. Dieser Glaube macht mich stärker. Ich habe etwas sehr Wertvolles in meinem Herzen, warum sollte ich es also verlie- ren? Ich hoffe, dass ihr, Setareh und Schakib, dasselbe fühlt, unabhängig von den Heraus- forderungen, denen ihr gegen-